Stephan Pilsinger
Dr. Wolfgang Ritter

Herr Dr. Ritter, in Bayern sind die Sommerferien vorbei, der Alltag hat die meisten von uns wieder. Welche Themen stehen für die kommenden Wochen und Monate in der Berufspolitik an?

Dr. Ritter: Aktuell beschäftigt uns natürlich das Ergebnis der Honorarverhandlungen zwischen KBV und GKV-Spitzenverband vom Mittwoch dieser Woche. Die Erhöhung des Orientierungspunktwerts um gerade mal 3,85 Prozent ist angesichts der aktuellen Kostenentwicklungen in keiner Weise ausreichend und ein Schlag ins Gesicht für die Praxisteams, die während der Pandemie und auch in den zurückliegenden Monaten enorm viel geleistet haben. Von Anerkennung und Wertschätzung ist nichts zu spüren.

Gebraucht hätten wir eine Erhöhung im zweistelligen Prozentbereich – schon allein, um als Praxen auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben und mehr Spielraum beim Gehalt für unsere MFA zu haben. Mit diesem Honorarabschluss lässt sich nicht kostendeckend arbeiten, er gefährdet den Erhalt der ambulanten hausärztlichen Versorgung.

Wie kann es nun weitergehen?

Dr. Ritter: Zunächst einmal bin ich froh, dass wir neben der Regelversorgung noch die Hausarztzentrierte Versorgung haben, die mit jedem desaströsen Honorarabschluss zwischen KBV und GKV-Spitzenverband an Bedeutung gewinnt. Die HZV zahlt sich nicht nur durch eine hohe Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten aus. Sie bildet hausärztliche Leistungen auch besser ab, als dies im EBM der Fall ist, und hier können wir als Hausärztinnen und Hausärzte direkt und auf Augenhöhe mit den Krankenkassen verhandeln.

Aber natürlich muss sich auch in der Regelversorgung etwas ändern. Es ist ja nicht das erste Mal, dass uns Niedergelassenen bei Honorarverhandlungen noch nicht einmal ein echter Inflationsausgleich zugestanden wird. In den zurückliegenden Jahren sind die Honoraranpassungen noch deutlich geringfügiger ausgefallen, die Praxen werden regelrecht ausgeblutet. Jetzt muss die Politik eingreifen, damit das System der ambulanten hausärztlichen Versorgung durch freiberufliche Hausärztinnen und Hausärzte mit ihren Teams nicht an die Wand fährt. Das Geld, das die Krankenkassen für fragwürdige Experimente wie Gesundheitskioske und damit den Aufbau von Parallelstrukturen in der ambulanten Versorgung ausgeben sollen, brauchen wir dringend für die Stärkung und den Ausbau unserer hausärztlichen Praxisteams. Denn sie haben sich nicht nur in der Corona-Pandemie bewährt, sie tun es tagtäglich und werden auch im bevorstehenden Herbst und Winter wieder alles tun, um die Menschen gut durch die Infektsaison zu bringen und rundum bestmöglich zu versorgen.

Die Politik und auch die Krankenkassen sind gut beraten, diese gute und bewährte Versorgung nicht dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu opfern. Am Ende sind die Patientinnen und Patienten die Leidtragenden, das scheinen Krankenkassen und Politik nicht begreifen zu wollen.

Mehr Geld für die ambulante Versorgung allein schafft noch keine neuen Hausärztinnen und Hausärzte und auch keine zusätzlichen MFA, die aber dringend gebraucht werden…

Dr. Ritter: Das ist richtig, und deshalb müssen wir auch vorhandene Ressourcen besser nutzen. Hier setzt unser Konzept der Teampraxis an: Gut aus- und weitergebildete Angehörige medizinischer Fachberufe übernehmen unter dem Dach der Hausarztpraxis mehr noch als bisher Aufgaben, für die nicht unbedingt ärztliche Expertise nötig ist, sodass sich Ärztinnen und Ärzte ganz auf die Personen konzentrieren können, die eine ärztliche Versorgung brauchen.

Eine wichtige Rolle spielen dabei neben MFA die Versorgungsassistentinnen und -assistenten in der Hausarztpraxis, kurz VERAH, und künftig sicher auch Absolventinnen und Absolventen des Bachelor-Studiengangs „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“, den die Hochschule für Ökonomie und Praxismanagement FOM seit Herbst 2022 berufsbegleitend für VERAH anbietet. Die hausärztliche Teampraxis bietet damit neue berufliche Perspektiven und erhöht so die Attraktivität der Ausbildung zur MFA. Aber auch dafür ist eine gesicherte finanzielle Grundlage Voraussetzung, zum Beispiel in Form einer Strukturpauschale. Die Ausgestaltung und Finanzierung des Modells Teampraxis wird auch Thema auf dem Deutschen Hausärztetag kommende Woche in Berlin sein.

Kommen wir noch zu einem Dauerthema für Arztpraxen, die Digitalisierung. In nicht einmal vier Monaten müssen alle Praxen das eRezept anwenden können, sonst drohen Sanktionen. Könnte das zum Problem für manche Praxen werden?

Dr. Ritter: In Bayern sind nahezu alle Hausarztpraxen an die Telematikinfrastruktur angebunden und damit startklar für das eRezept. Die Frage ist: Sind es die Hersteller der Konnektoren, ist es die gematik? Bei TI-Ausfälle wie erst vergangene Woche wieder in vielen Praxen funktionieren weder eRezept noch elektronische AU. Für Praxen geht das mit einem enormen Zeitverlust und viel Ärger einher. Besonders vor diesem Hintergrund sind die angedrohten Sanktionen für Praxen eine Unverschämtheit. Wo bleiben die Sanktionen für Hersteller und die gematik für wiederholtes Technikversagen, dass unsere Praxen lahmlegt?

Wir Ärztinnen und Ärzte lassen uns gerne von digitalen Anwendungen überzeugen, die uns Arbeit abnehmen und die Abläufe in den Praxen erleichtern, und grundsätzlich ist das eRezept ein digitaler Prozess, der uns tatsächlich helfen kann in der Versorgung. Aber dazu muss die Technik funktionieren.

 

 

 

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